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Reisen zur „falschen“ Jahreszeit

Im Winter ans Nordkap

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Es war wie zu erwarten stockdunkel, als wir vor dem Schild mit der Aufschrift „Polcirkeln“ haltmachten. Im Scheinwerferlicht ließ sich die Schrift gut lesen, von der schneebedeckten Landschaft war im Dezember kurz nach 14.00 Uhr nicht viel zu sehen.
66° 33′ 55″ - Über den Polarkreis zu fahren hätten wir uns doch etwas spektakulärer vorgestellt. Die aufgemalte Markierung konnte man im Dunkeln und unter dem Schnee nicht ausmachen. Sie ist aber auch bei Sonnenschein trügerisch, rückt die imaginäre Linie doch Jahr für Jahr um etwa 14 Meter gegen Norden. Ein großer Teil der Fahrt von Wien ans nördlichste Ende Europas lag damit hinter uns - und vor uns, in der Dunkelheit, der wohl spannendste Teil.
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Fünf Länder in fünf Tagen

Warum fährt man ausgerechnet im Winter in den hohen Norden? Den Anstoß dazu hatte eine einfache Frage gegeben: „Und, was macht ihr so zu Silvester?“ Wieder ein neues Jahr und wieder nichts geplant für den großen Rutsch. Kein Schnee weit und breit, der zum Jahreswechsel auf einer Skihütte einlädt, und die Knallerei in der Stadt geht zunehmend auf die Nerven. Irgendwie wurde klar: Es braucht dringend ein Abenteuer. Etwas Außergewöhnliches. Mit viel Schnee. Und wenigen Menschen. Warum nicht gleich ans Nordkap fahren?

Schneeketten und Schlafsack

Auf offiziellen Seiten wird betont, dass im Winter die Straße zum Nordkap nur per Konvoi zu befahren ist. Der norwegische Straßendienst hat dafür strenge Regeln aufgelistet. So darf nur eine beschränkte Zahl an Autos mitfahren, und die Fahrzeuge werden genauestens auf ihre Winterausrüstung hin überprüft. Jeder Autofahrer muss eine Taschenlampe, ein Seil, Eiskratzer und Schaufel griffbereit haben, das Auto darf zu keiner Zeit verlassen und das Handy nicht benutzt werden, um das Netz nicht zu überlasten.
Bei so vielen Vorgaben steigt der Respekt vor der Aufgabe. Und um ja nicht im entscheidenden Moment zu schwächeln, wird aufgerüstet. Das Auto wird noch vor Reisebeginn mit nagelneuen Winterreifen ausgestattet, was sich als gute Entscheidung herausstellen wird. Zudem werden zu den vier Schneeketten (weil Allrad) noch Schlafsack und Isomatte in den Kofferraum gepackt. Auch wenn eine Nacht im Auto vielleicht romantisch ist, wird am jeweiligen Etappenziel ein Hotel vorgebucht - bevorzugt mit Fitnessraum, um die Muskeln nach den langen Stunden im Auto etwas zu reaktivieren.
Auf den ersten 1.200 Autobahnkilometern hält sich das Abenteuer in Grenzen. Nach einer Übernachtung in Würzburg haben wir die längste Etappe vor uns. Über Hamburg bzw. Puttgarden, wo wir die Fähre nach Dänemark nehmen, geht es weiter Richtung Kopenhagen. Oder besser, unter Kopenhagen hindurch.

Wo das Meer eine Brücke ausspuckt

Kurz vor dem Tagesziel Malmö in Schweden führt die Straße bei Kopenhagen zunächst vier Kilometer durch den Drogdentunnel, bis man quasi mitten in der Meerenge zwischen Dänemark und Schweden wieder auftaucht.
Das Highlight auf der 860 Kilometer langen Etappe ist zweifelsohne die Fahrt über die Öresundbrücke, die mit ihren 7,8 Kilometern seit 2000 Dänemark und Schweden verbindet. Sie ist die weltweit längste Schrägseilbrücke für kombinierten Straßen- und Eisenbahnverkehr. Die Fahrt über die eine Milliarde Euro teure Brücke ist spektakulär, wenn auch nicht ganz billig. Für Pkws kostet die Überfahrt 50 Euro, mit Wohnwagenanhänger 100 Euro.
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Von nun an haben wir die Sonne nur noch im Rücken
Vorbei an Wald und Naturerbe

Auf der Suche nach Schnee

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Wald. Nichts als Wald, so weit das Auge reicht. Der Blick vom 342,8 Meter hohen Taberg kurz vor Jönköping bestätigt, was die Fahrt von Malmö Richtung Stockholm schon erahnen hat lassen: Südschweden ist flach. Und baumreich.
Der Taberg - für österreichische Verhältnisse kaum mehr als ein Hügel - erhebt sich 120 Meter über dem ebenen Smaland und bietet einen herrlichen Blick über die grenzenlosen Wälder bis zum Vättern, dem zweitgrößten See Schwedens. Sein Erzreichtum hat den Taberg über die Jahrhunderte deutlich schrumpfen lassen.
Der steile Abbruch auf der Nordseite zeugt noch vom Erzabbau. Seit 1962 rentiert sich der Bergbau jedoch nicht mehr, und 1985 wurde der Berg unter Naturschutz gestellt, um den Bau einer Skipiste zu verhindern. Ein ausgeschilderter Wanderweg führt in nur 15 Minuten auf den Gipfel.

Zuckerstangen in Gränna

Wenige Kilometer weiter erreicht man das Ufer des Vättern, im Sommer ein beliebtes Urlaubsziel der Schweden. Das kleine Örtchen Gränna, im Sommer ein Hotspot für Camper und Sommertouristen, liegt im Winter verschlafen da. Von der Kirche bietet sich ein schöner Blick über die typischen schwedischen Holzhäuser bis hinaus auf die Insel Visingsö, die im 12. Jahrhundert das Zentrum der Machthaber war. Die wenigen Touristen, die sich in der kalten Jahreszeit hierher verirren, sind meist auf der Suche nach den berühmten weiß-roten Zuckerstangen, die seit 1850 in der Stadt hergestellt werden.

Stille in Stockholm

Das Etappenziel ist nach 620 Kilometern die schwedische Hauptstadt Stockholm. Bei der Ankunft am frühen Abend ist es bereits dunkel, doch der Lichterschmuck in den Fenstern erhellt den abendlichen Bummel durch die Altstadt. Der Platz vor dem königlichen Palast, wo im Sommer Trauben von Touristen die Wachen fotografieren, ist wie ausgestorben. Reisen im Winter bedeutet auch, die Sehenswürdigkeiten für sich alleine zu haben.
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Die Öresund-Brücke verbindet Dänemark mit Schweden
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Malmös Altstadt ist auch im Dunkeln romantisch
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Blick vom Gipfel des Tabergs
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Eislaufplatz in Stockholm
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Farbenspiel an der Königlichen Oper in Stockholm
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Haus am Stora Torget in Sundsvall
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Knapp vor Umea dann der erste Schnee
Nach Stockholm führt die Straße entlang des Bottnischen Meerbusens und erlaubt immer wieder einen Blick auf die Ostsee. Auch in Skandinavien hat in diesem Jahr der Winter zunächst auf sich warten lassen, die Temperaturen blieben bis weit nach Weihnachten deutlich über dem Gefrierpunkt. Und auch nördlich von Stockholm ist von Schnee weit und breit keine Spur.
Hinter Härnösand führt die Straße mitten durch das UNESCO-Weltnaturerbe Höga Kusten. Der Landstrich lag in der Eiszeit unter kilometerdicken Eismassen, nach dem Abschmelzen hat sich das Land langsam zu heben begonnen - und hebt sich immer noch.
Derzeit liegt der Niveauunterschied bei 285 Metern und ist damit die höchste Bodenhebung der Welt. Während wir von den sich hebenden Gesteinsmassen entlang der E4 wenig bemerken, ist die Höga-Kusten-Hängebrücke unübersehbar. Mit ihren 186 Metern Höhe ist sie das zweithöchste Bauwerk Schwedens, und ihre Stützweite von 1.210 Metern ist nur 70 Meter kürzer als die der Golden Gate Bridge in San Francisco. In der Universitätsstadt Umea endet die Etappe. Und endlich: Eine hauchdünne Schneeschicht bedeckt die Straßen.
Die Königsetappe

Santa in der Sauna

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Je näher man dem Polarkreis kommt, desto kürzer wird der Tag. Die Strecke von Umea hinauf zum finnischen Enontekiö ist mit 653 Kilometern zwar nur die „drittlängste Etappe“ auf dem Weg ans Nordkap, aber mit Abstand die anstrengendste. Hinter Lulea, am Ende des Bottnischen Meerbusens, geht es nach der gut ausgebauten E4 weiter auf der E10 schnurgerade Richtung Norden.
„Die Sonne“ quält sich zu Mittag wenige Zentimeter über den Horizont und taucht die mittlerweile verschneite Landschaft in ein rosiges Licht. Um 14.00 Uhr, beim Überfahren des Polarkreises, ist es wieder stockdunkel.

Kampf um die Fahrbahnmitte

Vor der finnischen Grenze wird der Schneefall dichter, und die Fahrverhältnisse werden schwieriger. Hier im Norden werden die Straßen nicht gesalzen, stattdessen wird die Schneeschicht, die der Schneepflug übrig lässt, aufgeraut. Der Wind weht immer wieder die Fahrbahnränder zu, und die Straßenmitte wird zur umkämpften Zone. Vor allem die vorbeidonnernden Gigaliner brauchen viel Platz auf ihrem Weg in den Süden.
Mit 60 km/h geht es nur mühsam Richtung Etappenziel Enontekiö im finnischen Teil Lapplands, dem Land der Samen und Rentiere. Was sofort auffällt, ist, dass alle Fahrzeuge riesige Zusatzscheinwerfer auf ihren Autogrills montiert haben. Damit können auch in der dunklen Jahreszeit Hindernisse wie Rentiere rechtzeitig ausgemacht werden. Mit normalen Lichtern ausgestattet, tasten wir uns nur vorsichtig entlang den dunklen Wäldern - ständig bremsbereit, um Rentieren rechtzeitig ausweichen zu können.

Wer hat an der Uhr gedreht?

Im kleinen Hotel Hetan Majatalo in Enontekiö gehen die Uhren anders. Als einziges Land auf der Reise hat Finnland eine Stunde Zeitumstellung. Doch Zeit ist in dieser Gegend sowieso relativ - die langsame Fahrt über die verschneiten Straßen entschleunigt, und die Dunkelheit tut ihres dazu, dass Hektik und Stress hier oben im Norden keine Chance haben.
Nur die Gäste in der Unterkunft wirken etwas unentspannt. Es handelt sich um eine Gruppe britischer Familien auf Santa-Safari. Mit dem Santa-Bus werden sie in vier Tagen quer durch Finnland kutschiert, nur von der Dunkelheit hat ihnen offenbar niemand etwas gesagt. Ob sie Santa Claus tatsächlich gefunden haben, bleibt unklar. In der Sauna hängt auf jeden Fall ein auffällig roter Mantel mit weißem Pelz am Kragen.

Jagd auf das Polarlicht

Doch das Gesprächsthema am großen Kamin in der Lobby dreht sich nicht um die bärtige Gestalt, sondern um eine ganz andere mystische Erscheinung: Hinterm Hotel wollen Kinder das Polarlicht gesehen haben. Die Aufregung ist groß, schließlich ist die Aurora borealis ein Hauptgrund für Winterreisen in den hohen Norden. Wir beschließen, nach elf langen Stunden im Auto, uns erst nach einem ausgiebigen finnischen Saunabesuch an der Jagd auf das grüne Licht zu beteiligen.
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Wissenschaftlich betrachtet handelt es sich bei der Himmelserscheinung um elektrisch geladene Teilchen, die Sonnenwinde Richtung Erde schicken. Treffen diese auf Sauerstoff- und Stickstoffatome in den oberen Schichten der Atmosphäre, sorgen sie für die rosa-grün-blauen wogenden Lichter am Himmel. Besonders gut zu sehen sind Nordlichter an klaren, kalten Nächten jenseits des Polarkreises. Die Voraussetzungen in Enontekiö könnten besser nicht sein. Müde nach dem Schwitzen traben wir hinter dem Hotel auf einen kleinen Hügel.
Und dann ändert sich der Himmel über uns, und Schleier beginnen über den Bäumen zu tanzen. Das eigentliche Farbenspiel zeigt sich aber mehr auf den Bildschirmen unserer Kameras als tatsächlich am Firmament. Etwas enttäuscht treten wir den Rückzug an. Schließlich werden wir noch mehrere Nächte über dem Polarkreis verbringen, und die Betten locken.

Minus 34 Grad

Hinter Enontekiö ändert sich das Landschaftsbild schlagartig. Fichten und Kiefern werden von Birken abgelöst, dem einzigen Baum, der nördlich der Gemeinde Hetta noch wächst. Im blauen Dämmerlicht heben sich die kahlen Äste wie Tuschezeichnungen von der unberührten weißen Landschaft Lapplands ab. Der Schnee wird immer höher, und immer öfter muss man Rentieren ausweichen, die ebenfalls die Straße fürs raschere Vorankommen nutzen.
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Das Survivalkit für jede winterliche Nordkap-Reise: Diese Ausstattung ist Pflicht
Auf dem Fjell, der Hochebene, sinkt die Thermometeranzeige Kilometer für Kilometer nach unten. Bei minus 33 Grad wird der Selbstversuch gewagt. Wie fühlt sich ein Spaziergang bei so tiefen Temperaturen an? Die trockene Kälte ist überraschend angenehm - zumindest für die ersten Minuten. Als sich an der Nase und an den Wimpern kleine Eiszapfen bilden, flüchten wir wieder ins geheizte Auto. Schließlich haben wir noch ein ganzes Stück zu fahren.

212 Meter unter dem Meer

In der Küstenstadt Alta gehen bereits zu Mittag die Rollläden nach unten. Es ist der 31. Dezember, und alles macht sich bereit für die große Feier am Abend. Keine Zeit für eine lange Pause - noch liegen 210 Kilometer oder drei Stunden Fahrt zwischen Alta und dem kleinen Fischerdorf Honningsvag am Nordkap.
Der Weg führt durch den Nordkapptunnelen auf die Insel Mageröya. Der 6.875 Meter lange Unterwassertunnel ist der drittlängste Europas und liegt an der tiefsten Stelle 212 Meter unter dem Meeresspiegel. Dass der Tunnel unter dem Meer verläuft, ist auch ohne einen Blick auf die Landkarte erkennbar. An den Übergängen der Betonschalen rinnt alle paar Meter ein kleiner Bach an den Tunnelwänden hinab - nichts für Klaustrophobiker.
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Je näher wir Finnland kommen, desto unaussprechlicher werden die Ortsnamen
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Ein Spaziergang auf der zugefrorenen Ostsee
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Eine Tafel markiert den Polarkreis
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Rentiere säumen unseren Weg durch das tief verschneite Finnland
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Lappland verwandelt sich im Winter in eine Tuschezeichnung
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Vor der norwegischen Stadt Alta führt der Weg steil vom Fjell hinunter ans Meer
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Ohne Schneepflüge steht am Nordkap alles still
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Honningsvag ist im Winter ein verschlafener kleiner Ort
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Das einzige Kaffeehaus im kleinen Ort Skarsvag ist eine Fundgrube für Santa-Fans
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Die letzten Trockenfische sind begehrtes Futter für die Vögel
An den Portalen sind riesige Eisentore angebracht, die sich im Winter ab einer bestimmten Temperatur schließen, um Frostschäden im Tunnel zu vermeiden. Mit einer Steigung von zehn Prozent geht es abrupt nach unten und am Ende des Tunnels dann ebenso rasch wieder nach oben. Im Sommer ist er so stark frequentiert, dass der anfänglich mautpflichtige Tunnel bereits seit 2012 gratis zu befahren ist.
Und dann liegt unser Ziel direkt vor uns. Über die Meeresbucht hinweg leuchten die Lichter von Honningsvag bereits aus der Ferne. Wir können es kaum glauben, wir haben es tatsächlich ohne gröbere Probleme bis an unser letztes Etappenziel geschafft.
Das Ziel ist nah

Eingeschneit am Ende der Welt

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Die Häuser von Honningsvag schmiegen sich in der Dunkelheit eng an die Hänge links und rechts des Hafens. Die Straßen sind verwaist, die Lobby des einzigen offenen Hotels, des Scandic Bryggen, ist menschenleer. Zum Silvesterbuffet mit Lachs und Fleischbällchen um 19.00 Uhr trudeln dann die wenigen Gäste ein.
Viele haben die guten Wetterbedingungen am Vormittag genutzt und die letzten 40 Kilometer bis zum Nordkap erfolgreich zurückgelegt. Entsprechend gut ist die Stimmung unter den vornehmlich deutschen Gästen. Um Mitternacht erwacht das verschlafene Örtchen dann doch noch zum Leben. Einheimische und die Handvoll Touristen stoßen im einzigen Lokal des Ortes gemeinsam auf den Jahreswechsel an. Die Gespräche sind jedoch alles andere als beruhigend - für den nächsten Tag ist ein schlimmer Schneesturm angesagt.

Nichts geht mehr am Fjell

In der Früh schneit es schon. Immer wieder treibt der Wind dichte Schnee- und Graupelschauer gegen die Fenster des Speisesaals. Gegen 9.00 Uhr beginnt die Dämmerung, und langsam zeichnen sich die hohen Felswände am Horizont ab. In der Lobby herrscht Aufregung. In der Nacht ist so viel Schnee gefallen, dass alle Straßen von und nach Honningsvag gesperrt sind.
Zudem gehen am 1. Jänner die Uhren in Norwegen etwas langsamer, wie die Rezeptionistin erklärt. Der erste Schneepflug wird nicht vor Mittag erwartet. Kurz nach Mittag reißt die Wolkendecke auf, und während eine Handvoll Gäste die Gunst der Stunde nutzt, um die Heimfahrt anzutreten, fahren wir Richtung Norden aus dem Ort hinaus zur Straßenkreuzung Skarsvag, wo wir schon von Weitem sehen, dass der Schranken vor den letzten 15 Kilometern zu ist.
Während wir noch überlegen, auf einen Schneepflug zu warten, zieht ein heftiger Schneesturm auf, der uns völlig die Sicht raubt. In Norwegen kann man an einem Tag vier Jahreszeiten erleben, am Nordkap innerhalb einer Stunde - diese geläufige Redensart bewahrheitet sich an diesem Tag. Mit Hilfe des Navis rollen wir im Schritttempo zurück ins Hotel. Das Nordkap muss warten.

Endlich am Ziel

Der 2. Jänner beginnt, wie der 1. Jänner aufgehört hat: Es schneit. Die wenigen Gäste machen sich am frühen Morgen daran, ihre Autos freizuschaufeln. Die Wettervorhersage verheißt für den Vormittag eine Wolkenlücke. Und tatsächlich, pünktlich um 10.00 Uhr hört der Schneefall auf.
Die Dämmerung taucht die Landschaft in ein unwirkliches blaues Licht, und als der Schranken hinter der Biegung auftaucht, ist vom angekündigten Konvoi weit und breit nichts zu sehen. Dafür steht der Balken offen. Wir zögern einen Moment. Ist es zulässig, einfach so über das Fjell zu fahren? Will niemand unsere Ausrüstung kontrollieren? Wir blicken uns an - und geben Gas.
71° 10′ 21″ - Das Nordkap ist genau genommen nicht der nördlichste Punkt Europas, zumal es einerseits auf einer Insel liegt und andererseits die benachbarte Landzunge auf der Insel Mageröya noch ein Stückchen weiter in das Eismeer ragt. Doch es ist der nördlichste Teil Europas, der mit dem Auto zu erreichen ist. 200.000 Besucher verzeichnet der 300 Meter über dem Meer gelegene Fjell jährlich. Die meisten im Sommer, wenn zwei Monate lang die Sonne nicht untergeht.
Die letzten Kilometer führen durch eine immer rauer werdende Landschaft, schließlich parken wir das Auto vor der Nordkaphalle. Wir haben es geschafft. Wir sind vor acht Tagen in Wien ins Auto gestiegen und sind jetzt am nördlichsten Punkt Europas angekommen. Die Dämmerung taucht die karge Landschaft in ein unwirkliches Licht, als wir völlig alleine auf den Globus, das Wahrzeichen des Nordkaps, zugehen. Unter uns rauschen die Wellen der Barentssee, sonst ist es völlig still. Für uns ist in diesem Moment klar: Die perfekte Zeit für eine Reise ans Nordkap ist der Winter.

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Hintergrund

Eine private Reise wurde zum heimlichen Hit auf Instagram: „Gabi goes north“ erzählte von der Leidenschaft, zur quasi falschen Jahreszeit ans Nordkap zu fahren. In vielen kleinen Videoetappen. Dieses Erlebnis und das Interesse daran wurden zur Grundlage dieses Features.

Gestaltung

Gabi Greiner (Text und Fotos), Claudia Bogun (Art Direction), Georg Kurzbauer (Grafik), Michael Maier (Technik), Saskia Etschmaier, Michael Höck, Stefan Lauterer, Herwig-Hakan Mader, Roland Winkler (Projekt und Konzeption), Harald Lenzer, Lucia Morandini (Lektorat), Gerald Heidegger (Redaktion), alle ORF.at

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