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Markus Müller-Schinwald, Ö1 Außenpolitik , 9.5.

Lettland – die nächsten auf Putins Liste?

Faschist, Provokateur, Nato-Verbrecher - als deutschsprachiger Reporter muss man sich bei der Feier am Tag des Sieges einiges anhören, wenn man beim Denkmal der Roten Armee in Riga um eine Stellungnahme zur Krise in der Ukraine bittet.

Der Hinweis dass Österreich gar nicht Mitglied der NATO ist macht das nicht besser: Hitler sei schließlich Österreicher gewesen, schimpft ein Mann mittleren Alters, jetzt seien wir Lakaien der USA und wo immer die USA hinkommen gebe es nur Tod und Verderben – Irak, Afghanistan, Syrien. Für differenzierte Diskussionen ist hier kein Platz. Gefeiert werden die Veteranen des zweiten Weltkrieges, alte Herren mit vielen Orden. Mit den Worten „Danke für den Sieg“ werden ihnen Blumen überreicht, manche haben schon so viele dass sie sie gar nicht mehr selber tragen können.

Russen-Denkmal in Wien zerstört?

Gleich dreimal werde ich darauf angesprochen – oder genauer gesagt angeklagt – dass das Denkmal der Roten Armee in Wien doch gerade erst Opfer eines Angriffes der Faschisten geworden sei. Angezündet habe man das Denkmal, meint der erste, vernichtet der zweite, zerstört der dritte. Tatsächlich wurde eine Tafel des Denkmals am Schwarzenbergplatz mit den Farben der ukrainischen Fahne beschmiert, die österreichische Polizei ermittelt. Das Beispiel zeigt wie schnell und effizient die Propaganda-Netzwerke des Kreml auch bei der russischsprachigen Bevölkerung Lettlands Gehör finden.

Donbas-Rebellen als Helden

Zustimmung bekommen auch einige Aktivisten die mit Fahnen der selbst ausgerufenen „Volksrepublik Donbas“ durch die Menge gehen. „Molodzi“, tüchtige Kerle seien das, meint eine Pensionistin. Die Brüder in der Ukraine bräuchten jetzt Unterstützung. Und sie, die Russen in Lettland, wollen endlich mehr Rechte von der lettischen Mehrheitsbevölkerung.

Russen werden diskriminiert

Tatsächlich hat die politische Elite Lettlands seit der Unabhängigkeit 1991 keinen richtigen Umgang mit der russischen Minderheit gefunden. Mehr als 300.000 Menschen haben nicht die Staatsbürgerschaft und werden vom Staat systematisch benachteiligt, jeder siebte Bewohner des Landes. Und das nur weil sie oder ihre Eltern während der Sowjetherrschaft nach Lettland gekommen sind und nicht bereit sind die lettische Sprache zu erlernen. Von internationalen Organisationen gab es immer wieder Kritik an der lettischen Minderheitenpolitik, geändert hat sich aber wenig. Dafür dürfte das „Harmoniezentrum“, die Partei der russischen Minderheit, bei den kommenden EU-Wahlen voraussichtlich stimmenstärkste Partei werden.

Kommen die „grünen Männchen“?

Und deshalb herrscht jetzt Angst dass irgendwann in Daugavpils ein so genanntes „grünes Männchen“ auftaucht, die gängige Bezeichnung für die russischen Spezialeinheiten die im Februar die Annexion der Krim vorbereitet haben. Daugavpils ist die zweitgrößte Stadt Lettlands, liegt unweit der russischen Grenze und wird mehrheitlich von ethnischen Russen bewohnt. Würden die Menschen hier einen russischen Angriff unterstützen oder sich loyal zum Staat Lettland verhalten? Dass Wladimir Putin jetzt aggressiv als Schutzpatron aller russischsprachigen „Mitvaterländer“ auftritt sorgt in Lettland bei manchen für Enthusiasmus, bei andern für große Nervosität. Und viele stellen sich die Frage: Ist nach der Krim und der Ukraine als nächstes vielleicht Lettland an der Reihe?