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Stefan Kappacher, Ö1-Innenpolitik , 23.5.

Eine Ahnung von Europa

Scheiße, das ist echt schwierig. Dieser Satz von NEOS-Spitzenkandidatin Angelika Mlinar wird von der ORF-Konfrontation zwei Tage vor der Wahl hängenbleiben. Weil er in einer nicht völlig salonfähigen, aber sympathischen Offenheit auf den Punkt bringt, wie wir wieder einmal durch einen EU-Wahlkampf getaumelt sind. Dabei war der diesmal so europäisch wie noch nie.

Elefantenrunde ist an sich schon ein dummer Begriff, aber selten war er so unangebracht wie bei den Zusammentreffen unserer nationalen Spitzenkandidaten im ORF, bei Puls4 oder ATV. Denn bei dieser Europa-Wahl gibt es erstmals richtige Elefanten, nämlich europaweite Spitzenkandidaten der Fraktionen im Europa-Parlament. Die sind mit dem wiederum brillanten Hanno Settele auf Wahlfahrt gewesen, die sind durch Europa gejettet, um in den Mitgliedsstaaten ansatzweise präsent zu sein.

TellEurope, ein Medienereignis

Und die haben sich in einer eigenen – bei uns auf ORF III live ausgestrahlten – TV-Konfrontation mit dem Namen TellEurope getroffen. Dort haben sie weniger miteinander diskutiert, was vielfach scharf kritisiert worden ist. Aber sie haben sich nach den im europäischen Parlament üblichen Regeln der kurzen Redezeiten positioniert. Und wer etwas zu sagen hat, der schafft das auch in einer Minute. Die deutschen Spitzenkandidaten haben Englisch gesprochen, der Grieche wurde übersetzt, der Fernsehton simultan gedolmetscht. Europäischer hat man sich noch in keinem Wahlkampf gefühlt. Nachzuholen hier.

Bürger stärker als die Merkels

Und man hat erahnen können, dass Demokratie in Europa nicht in alle Ewigkeit ein leeres Wort sein muss. Das europäische Volk kann erstmals indirekt entscheiden, wer Präsident der Europäischen Kommission werden soll – so wie die Österreicher bei der Nationalratswahl auch entscheiden, wer Bundeskanzler wird. In der Regel der Spitzenkandidat der stärksten Parlamentsfraktion. In Europa wird es diesmal auch so sein: die stärkste Fraktion wird den Kommissionspräsidenten stellen, also den europäischen Regierungschef. Da kann Angela Merkel im Kreis der Staats- und Regierungschefs noch so dagegen wettern – diese Kraftprobe mit dem EU-Parlament würde wohl jede/r verlieren.

Chlorhuhn als Außenfeind

Dieser Wahlkampf – so sehr er innenpolitisch überlagert war, bis hin zum Aufruf der FPÖ, einen Denkzettel aus dem Stimmzettel zu machen - hat aber auch inhaltlich deutliche europäische Spuren hinterlassen. Und das ausgerechnet unter dem Kürzel TTIP, das für Transatlantic Trade and Investment Partnership steht – also für das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und den Vereinigten Staaten von Amerika. Die Debatte darüber ist unter dem Codenamen Chlorhuhn gelaufen und war oft an oder jenseits der Grenze zur Lächerlichkeit. So ist der Sozialdemokrat Martin Schulz extra nach Wien gekommen, um mit den Freunden von der SPÖ bei einer TTIP-Pressekonferenz in einem Melanzani-Glashaus auf der Simmeringer Haide zu posieren.

Werte sind nicht Wurst

Es gibt ja auch innerhalb der EU genug Kräfte, die Probleme mit hohen Umwelt- und Lebensmittelstandards haben, aber auch mit Sozialstandards - und die sich freuen würden, wenn diese auf dem Altar des transatlantischen Freihandels geopfert würden. Aber diese Debatte hat auch gezeigt - und das muss uns wohl erst bewusst werden: Wir sind Europa, und wir haben etwas zu verteidigen. (Man kann es Standards nennen oder Werte – und man kann eine Parallele zum Song Contest der Eurovision ziehen, die nur auf den ersten Blick absurd erscheint. Auch dort wurde ja eine europäische Werte- und Toleranzgemeinschaft beschworen, die zum Sieg einer gewissen Conchita Wurst geführt hat.)

Shit happens, aber nicht nur

Der europäische Traum lebt. Trotz und wegen dieses Wahlkampfs. Auch wenn es echt schwierig ist, das zu vermitteln. Da hat die Frau Mlinar schon recht. Aber es ist nicht hoffnungslos, wie uns auch die ersten Nachwahlbefragungen in den Niederlanden zeigen. Sagen tun sie uns zweierlei: Gelassen bleiben. Und am Sonntag wählen gehen.