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Stefan Kappacher, Ö1-Innenpolitik , 27.5.

Heiliger Kanzian!

In der Faymann-SPÖ rumort es nach dem bescheidenen Abschneiden bei der Europawahl so stark wie nie. Dabei hat EU-Spitzenkandidat Eugen Freund doch darauf hingewiesen, wie gut die SPÖ in seiner Heimatgemeinde St. Kanzian am Klopeiner See performed hat: plus 15,6 Prozent! Wie kann man ihn da nur als Spitzenkandidaten in Zweifel ziehen! Es ist ein Elend, und der Fall Freund wird zum Sinnbild dafür.

Zuerst hatten der damalige SPÖ-Chef Viktor Klima und sein Partei-Geschäftsführer Andreas Rudas den Journalisten und Bestseller-Autor Hans Peter Martin als Spitzenkandidaten für die EU-Wahl erfunden. Für die SPÖ und Europa war das kein durchschlagender Erfolg, auch wenn Martin mit seiner Liste in der Folge bei zwei Wahlen angetreten ist und mit Hilfe der Kronenzeitung Höhenflüge absolviert hat.

Freund fällt Faymann auf den Kopf

Jetzt hat Martin nicht mehr wollen. Ein großes Wählerpotenzial für die SPÖ wurde frei – und der frühere ORF-Star Eugen Freund hätte es ausschöpfen sollen. So richtig ist ihm das aber nur in St. Kanzian gelungen, die Freude des Spitzenkandidaten darüber haben die Kollegen vom ORF-Report schön dokumentiert. Freund ist eine Erfindung des reichweiten- und quoten-affinen Werner Faymann, die diesem jetzt schwer auf den Kopf fällt.

Othmar Karas ist das Gegenbeispiel. Der ÖVP-Spitzenkandidat hat mit seiner authentischen Spröde einen Wahlsieg eingefahren. Das hätte Karas keiner zugetraut, und diesen Erfolg nimmt ihm keiner. Er fußt auf einem klaren Bekenntnis zu und offener Leidenschaft für Europa. Das ist ein Lichtblick. Aber: Karas hat per Saldo 100.000 Stimmen verloren, und er hat nach den Wählerstrom-Analysen mehr Stimmen an die Nichtwähler verloren als er von dort gewonnen hat.

Karas zu müde für Europa-Müde

Karas war ein attraktiver Kandidat für europäisch denkende Menschen, aber er war nicht attraktiv genug, um die Europa-Müden und Europa-Fernen für das Projekt zu begeistern. Das ist aber entscheidend für die Zukunft dieses Projekts: Die Mehrheit anzusprechen, die nicht zur Wahl gegangen ist (und die beileibe nicht durch und durch europa-feindlich ist – wie der Wahlforscher Fritz Plasser sehr schön herausgearbeitet hat). Gute Ansätze zeigen da die Grünen: Sie haben bei den Wählerströmen von und zu den Nichtwählern den besten Saldo von allen – und sie haben nicht zuletzt deshalb ihr bisher bestes Bundes-Ergebnis erzielt.

Nach EU-Wahl ist vor EU-Wahl

Die logische Folge wäre, dass Europawahlen künftig mit Europathemen und von Europapolitikern geschlagen werden; dass die Europapolitiker jetzt nicht in der Versenkung verschwinden, sondern auch zwischen den Europawahlen vor den Vorhang geholt werden; dass sie keine Anhängsel der Nationalratsfraktionen sind, sondern integraler und wichtiger Teil der Fraktionen; dass die Politik und Medien endlich zur Kenntnis nehmen, dass ein wichtiger Teil der Entscheidungen auf EU-Ebene fällt und die daher mindestens genauso wichtig ist wie die nationale Ebene.

Mag sein, dass das fromme Wünsche sind. Aber wir richten sie an den heiligen Kanzian, der hat ja auch dem Eugen Freund schon geholfen. Und vielleicht könnte er, der St. Kanzian, auch zum Schutzpatron aller Europapolitiker werden. Die können Beistand brauchen. Nach der Europawahl wieder dringender denn je.